Man verspürte in Anbetracht der milden Temperaturen im vergangenen November fast schon Erleichterung, als mitten in der Energiekrise die Temperaturen bei 15 bis 20 °C lagen. Nach einem kurzen, aber drastischen Kälteeinbruch gegen Ende November befand sich die monatliche Durchschnittstemperatur dann „nur noch“ bei 6,4 °C über dem Mittel der international gültigen Referenzperiode 1961 bis 1990.¹ Ob 2022 für Deutschland das wärmste oder zweitwärmste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnung war, steht noch nicht fest (Stand: 3. Februar 2023). Der aktuelle Rekordhalter ist das Jahr 2018 mit einer Jahresmitteltemperatur von 10,5 °C – es wird möglicherweise eine sehr kurze Periode als Rekordhalter.

Dass es wärmer wird, zeigt auch das Titelbild dieser Ausgabe des Netletter Risiken & Chancen. Zu sehen sind die Wärmestreifen („Warming Stripes“) für Deutschland für die Jahre 1881 bis 2021. Jeder Streifen symbolisiert die Abweichung der mittleren Jahrestemperatur eines Kalenderjahres von der durchschnittlichen Temperatur über den gesamten Beobachtungszeitraum. Blau steht dabei für eine negative Abweichung, rot für eine positive. Während von 1881 bis in die 1940er‑Jahre überwiegend eine negative Abweichung beobachtet wurde, ändert sich das Bild spätestens mit Beginn der 1990er‑Jahre. Seither wurden, bis auf wenige Ausnahmen, nur positive Abweichungen vom Mittelwert beobachtet. Dabei fällt das Jahr 2003 – ein Jahr, in dem während einer großflächigen Hitzewelle in Europa nach Schätzungen rund 70.000 hitzebedingte Todesfälle eingetreten sind –² farblich eher blass aus im Vergleich zu den Temperaturabweichungen der Jahre 2018 bis 2020. Die Veränderung der Jahresdurchschnittstemperatur allein sagt also nur bedingt etwas über Extremwerte aus.

„Klimawandel“ – auch wenn häufig als Synonym mit globaler Erwärmung verwendet – steht als Begriff nicht nur für das Auftreten von Hitzewellen oder den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur, auch saisonale und regionale Veränderungen der Niederschlagsmengen sind Folgen des Klimawandels. In den vergangenen Jahren hatten wir in Deutschland von 2018 bis 2020 Dürrejahre, gefolgt von 2021, einem der für Deutschland niederschlagreichsten Jahre seit Beginn der Wetteraufzeichnung. Klimawandel bedeutet, dass sich die Häufigkeit von Extremwetterereignissen wie Hitze, Frost, Dürre und Flut verändert. Wir werden im Folgenden erläutern, wie sich die Veränderungen in unserer Umwelt auf die Gesundheit und Sterblichkeit auswirken können. Dabei liegt der Fokus auf möglichen Auswirkungen von Hitzewellen auf die klassischen biometrischen Absicherungsprodukte wie Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherungen.

Hitzesterblichkeit: Trifft das nicht vor allem hohe Alter?

Klassische biometrische Absicherungsprodukte wie Lebens- oder Berufsunfähigkeitsversicherungen haben in Deutschland typischerweise Höchstalter von 65 bis 70 Jahren. Daher stellt sich aus aktuarieller Perspektive die Frage, ob „Hitze“ als Todesursache in den typischen versicherten Altersgruppen eine Relevanz hat.

Bei Studien zum Klimawandel und zur Hitzesterblichkeit ist es wichtig zu verstehen, inwiefern demografische Entwicklung bei der Herleitung von Aussagen berücksichtigt wurde. Insbesondere, wenn es um den absoluten Anstieg der Todesfälle aufgrund von Hitzewellen geht, gibt es einen Unterschied zwischen Modellrechnungen mit und ohne Berücksichtigung der demografischen Entwicklung.

Um zu verstehen, ob Hitzesterblichkeit auch mittlere Altersbänder in Deutschland betrifft, betrachten wir in Abbildung 1 den gleitenden Vierwochendurchschnitt der Sterbefälle pro Woche im Jahr 2018 im Vergleich zum Mittel aller Wochen der Jahre 2016 bis 2019. Der Sommer 2018 war besonders warm in Deutschland, und es wurden in vielen Regionen 30 oder mehr „heiße Tage“ (Tage mit 30 °C oder mehr) beobachtet.⁷

Mit dem Anstieg der Temperatur im Sommer steigen die durchschnittlichen Sterbefälle in allen Altersbändern an. Dabei scheint der relative Anstieg in den Altersbändern 30–54 und 55–64 am schwächsten ausgeprägt. Im jüngsten Altersband erschwert die hohe Volatilität der Ergebnisse eine Interpretation, es scheint jedoch über einen längeren Zeitraum zu einer erhöhten Sterblichkeit zu kommen.

Die Ergebnisse dieser einfachen Auswertungen stimmen mit einer Studie aus Südafrika zum relativen Sterberisiko nach Temperatur und Altersgruppe überein. Insbesondere wird ein erhöhtes Sterberisiko nicht nur in höheren Altern, sondern besonders stark auch bei den Jüngsten (der Altersgruppe 0 bis 4 Jahre) gefunden, während in den mittleren Altersgruppen weder Hitze noch Kälte einen signifikanten Einfluss auf das relative Sterberisiko haben.⁸

Weitere vulnerable Gruppen bei Hitze sind chronisch Kranke (insbesondere bei bereits existierenden Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Nierenerkrankungen), Schwangere, Arbeiter im Freien und Menschen in Städten in sozial und ökonomisch benachteiligten Vierteln.⁹

Hitze‑, Kälte- und Grippesterblichkeit

Wenn man sich mit steigenden Temperaturen und der daraus resultierenden Hitzesterblichkeit auseinandersetzt, liegt es nahe, auch die Kehrseite, die Kältesterblichkeit zu betrachten. Führt der Klimawandel aufgrund zunehmender Extremwetterereignisse zu einem Anstieg der Gesamtsterblichkeit, oder führen milde Winter in einigen Regionen sogar zu einer Reduktion?

Abbildung 1 zeigte die höchsten Sterbefälle während der kältesten Temperaturen, eine Beobachtung, die auf viele Länder zutrifft.¹⁰ Doch im Winter ist eine weitere Todesursache zu berücksichtigen: die Grippe. Während die saisonale Grippe auf der Nord- und Südhalbkugel im Winter auftritt, ist die Temperatur nur einer von vielen Faktoren, die die Grippeaktivität und mittelbar die Grippesterblichkeit beeinflussen. Saisonale Schwankungen in der Immunantwort des Wirts, Veränderung der Grippestämme und Umwelteinflüsse wie Luftfeuchtigkeit und UV‑Strahlung nehmen ebenso Einfluss auf die Grippeaktivität.¹¹

Abbildung 1: eigene Darstellung des gleitenden Vierwochendurchschnitts Sterbefälle pro Woche 2018 im Vergleich zum Mittel aller Wochen der Jahre 2016–2019.

Daten von Statistisches Bundesamt (Destatis), 2023, „Sterbefälle – Fallzahlen nach Tagen, Wochen, Monaten, Altersgruppen, Geschlecht und Bundesländern für Deutschland, 2016–2023“. Abgerufen am 27. Januar 2023.

Abbildung 2 zeigt den gleitenden Vierwochendurchschnitt der Sterbefälle pro Woche für die Altersgruppe 75+ über einen Zeitraum von drei Jahren. 2016 begann mit einer durchschnittlichen Temperatur von 1 °C im Januar etwas wärmer als 2017 (mit ‑2,2 °C), aber kälter als 2018 (mit 3,7 °C).¹² Anders als in den Folgejahren gab es in der Saison 2015/2016 nur eine geringe Grippeaktivität, was sich deutlich in den Sterbefällen im Frühjahr bemerkbar machte. 2017 folgte dann als ein Jahr mit Grippe, ohne Hitzewelle und 2018 als Jahr mit Grippe und mit Hitzewelle.

Abbildung 2: gleitender Vierwochendurchschnitt Sterbefälle pro Woche in der Altersgruppe 75+ im Vergleich zum Mittel aller Wochen der Jahre 2016–2019.

Quelle: eigene Darstellung, Daten von Statistisches Bundesamt (Destatis), 2023, „Sterbefälle – Fallzahlen nach Tagen, Wochen, Monaten, Altersgruppen, Geschlecht und Bundesländern für Deutschland, 2016–2023“. Erschienen am 24. Januar 2023. Download vom 27. Januar 2023.

Wir haben daher genauer betrachtet, wie sich die Sterbefälle in den Monaten Januar und August der Jahre 1990 bis 2019 in Abhängigkeit von der durchschnittlichen Temperatur im jeweiligen Monat verhalten (Abbildung 3). Da die Daten nicht nach Altersgruppen vorliegen, konnte keine altersstandardisierte Auswertung vorgenommen werden.

Abbildung 3: monatliche Sterbefälle pro 1.000 Einwohner nach Durchschnittstemperatur in Deutschland 1990–2019.

Daten von Statistisches Bundesamt (Destatis), 2023, Gestorbene, Sterbefälle je 1.000 Einwohner: Deutschland, GENESIS-Tabelle: 12613-0005 und von Deutscher Wetterdienst, KU21 – Klimaanalyse (2023), Zeitreihen und Trends von Gebietsmitteln der Parameter Temperatur, Niederschlag, Sonnenscheindauer und verschiedener Kenntage. Abgerufen am 7. Februar 2023.

Während die absoluten Sterbefälle pro 1.000 Einwohner im Januar höher sind als im August, scheint die Korrelation zwischen Temperatur und Sterblichkeit bei hohen Temperaturen stärker zu sein. Ob eine moderate Erhöhung der Temperatur im Winter zu einer Reduktion der Kältesterblichkeit führt, lässt sich anhand dieser Auswertungen nicht abschließend klären, während eine höhere Temperatur im Sommer wahrscheinlich zu einer höheren Sterblichkeit führt. Eine weltweite Studie von Zhao et al. (2021) findet für den Zeitraum 2000 bis 2019 in Europa einen fluktuierenden, aber ansteigenden Trend der Sterblichkeit aufgrund von nicht optimalen Umgebungstemperaturen (unter Berücksichtigung von Hitze- und Kältesterblichkeit).¹³

Anpassungsfähigkeit

Xu et al. (2020) haben gezeigt, dass – je nach Klimaszenario – manche Regionen auf der Welt zukünftig aus der traditionellen „Klimanische“ des Menschen rausfallen könnten.¹⁴ Mögliche Folgen sind Lebensmittelknappheit in und Abwanderung aus den betroffenen Regionen. Deutschland, auch wenn es wärmer wird, gehört laut den gängigen Szenarien nicht zu diesen Regionen. Es ist aber wahrscheinlich, dass Sommer mit extremer Hitze wie in 2018 wieder auftreten und das in diesen Jahren eine hitzebedingte Übersterblichkeit eintritt.

Eine Analyse von Gasparrini et al. (2015) zum Sterberisiko in Abhängigkeit von der Temperatur in vielen Ländern gibt jedoch auch Grund zu der Vermutung, dass es nicht dabei bleiben wird. Die optimale Temperatur, bei der die beobachtete Sterblichkeit am niedrigsten ist, ist nicht in jedem Land gleich.¹⁵ Häufig gilt: Je wärmer ein Land, desto höher ist die optimale Temperatur, wie man in Abbildung 4 am Vergleich von London/Großbritannien und Rom/Italien sieht.

Abbildung 4: Zusammenhänge zwischen Temperatur und Sterblichkeit in europäischen Städten.

Darstellung des relativen Sterberisikos nach Temperatur im Verhältnis zu der Temperatur mit der niedrigsten Sterblichkeit („Minimum mortality temperature“) und Darstellung der Anzahl der beobachteten Todesfälle nach Temperatur. Zuletzt geändert am 14. November 2019. Copyright: European Environment Agency (EEA). Adaptiert von Gasparrini et al. (2015).

Diese Vergleiche sind mit Vorsicht zu betrachten und sollten nicht einfach auf Deutschland übertragen werden. Neben der Temperatur unterscheiden sich die verglichenen Regionen in ihrer Demografie, Sozioökonomie und weiteren Umweltfaktoren wie Niederschlag. Dennoch stützen diese Beobachtungen die Vermutung, dass eine hitzebedingte Übersterblichkeit in Zukunft durch Anpassungen unseres Verhaltens und unserer Umwelt gemildert werden kann.

Bedeutung für die Versicherungswirtschaft

Bevölkerungsstudien können zwar eine Indikation zum Einfluss des Klimawandels auf die Versichertensterblichkeit geben, aber es bleiben einige Fragen offen. Die folgenden Punkte können wir aus den Studien lernen:

• Hitze birgt Risiken für eine Vielzahl von Erkrankungen, darunter Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Nierenerkrankungen oder sogar Auswirkungen auf die mentale Gesundheit. Dadurch ist eine Auswirkung auf Lebens- wie auch Berufsunfähigkeitsversicherungen denkbar.
  
  
• Die Hitzewelle in 2018 führte in allen Altersgruppen zu einem Anstieg von Todesfällen. Studien zeigen, dass neben den höchsten Altersbändern besonders Kinder, chronisch Kranke, Arbeiter im Freien, Schwangere und Menschen in sozial und ökonomisch benachteiligten städtischen Regionen hitzebedingten Gesundheitsrisiken ausgesetzt sind. Studien zeigen nur eine geringe Hitzesterblichkeit in mittleren Altern.
  
  
• Es ist nicht sicher, ob die erhöhte Sterblichkeit während Hitzewellen durch eine reduzierte Kältesterblichkeit ausgeglichen werden kann. Dies liegt unter anderem an der Grippeaktivität, welche neben der Temperatur durch eine Vielzahl weiterer Einflussfaktoren bestimmt wird.
  
  
• Die optimale Temperatur mit der niedrigsten Sterblichkeit variiert je nach Region und scheint insbesondere in wärmeren Regionen höher zu liegen als in kalten. Während eine direkte Vergleichbarkeit nicht gegeben ist, legt dies die Vermutung nahe, dass im Rahmen eine Anpassung an höhere Temperaturen möglich ist.
  
  

Ob Versichertenbestände gleichermaßen von Hitze als Risikofaktor für erhöhte Sterblichkeit betroffen sind oder ob zum Beispiel sozioökonomische Faktoren das Sterberisiko durch Hitze dämpfen, lässt sich nur durch Bestandsanalysen beantworten. Für die Auswirkungen auf einen Versichertenbestand böten sich, ähnlich der oben gezeigten Auswertungen zur Gesamtbevölkerung Deutschlands, die Jahre 2016 bis 2018 an bzw. um die Datenbasis zu vergrößern ergänzt um weitere Jahre. Informationen zur Anzahl heißer Tage in einem Kalenderjahr können unter anderem über das Umweltbundesamt abgerufen werden.¹⁶

Fazit

Der menschengemachte Klimawandel ist real und wird auch hierzulande immer deutlicher spürbar. Eine höhere Temperatur führt zu zusätzlichen Belastungen für den Körper – das gilt nicht nur für Hochbetagte, sondern für alle Altersgruppen. Daraus ergibt sich eine potenzielle Belastung auch für Lebensversicherungsunternehmen. Neben den hier betrachteten direkten Hitzeauswirkungen spielen dabei auch Unwetter oder Ausbreitung von Krankheitsüberträgern eine Rolle.

Die Komplexität erfordert auf der einen Seite eine weitere Forschung zu diesem Thema auch von Aktuaren – auf der anderen Seite ist klar, dass neben den Anstrengungen zur Begrenzung des Klimawandels Anpassungen an diesen unvermeidlich sind, um das Gesamtrisiko zu begrenzen.

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